EU will mehr Gas aus Nigeria »Wir können doch nicht über Export reden, wenn Leute im Dunkeln leben«

Veröffentlicht am 21. April 2022 um 13:24

Die EU will unabhängig von Russland werden – und wirbt in Nigeria um Erdgas. Dabei kann das Land nicht einmal seinen eigenen Energiebedarf decken. Erst kürzlich war ein Großteil der Bürger mal wieder ohne Strom.

 

Am Montag sind sie alle gemeinsam ins Büro der staatlichen nigerianischen Öl- und Gasfirma NNPC spaziert: die Botschafter der EU, Frankreichs, Italiens, Portugals und Spaniens. Das Ziel der konzertierten Aktion: Europa will mehr Gas aus Afrika, um von Russland unabhängiger zu werden. Schon jetzt ist Nigeria der viertgrößte Exporteur von Erdgas nach Europa.

 

 

 

Doch das Land steht selbst vor massiven Problemen, immer wieder kommt es zu flächendeckenden Stromausfällen, die ganz Nigeria lahmlegen. Erst vor wenigen Tagen blieb es in weiten Teilen des westafrikanischen Staates dunkel. Die Regierung führt das auf Sabotage, aber auch auf einen Mangel an Erdgas zur Stromversorgung zurück.

 

 

Wie also sollte nun mehr Gas in die EU exportiert werden? Der SPIEGEL hat mit dem nigerianischen Energieexperten Zakka Bala über die Pläne Europas und die Probleme vor Ort gesprochen.

 

SPIEGEL: Die EU würde gern mehr Gas aus Nigeria importieren – um die Abhängigkeit von Russland zu senken. Kann dieser Plan aufgehen?

Zakka Bala: Sie haben ja keine Wahl, sie müssen sich anderswo umsehen. Nigeria exportiert bereits Flüssigerdgas in verschiedene Teile der Welt, und wegen des Krieges will sich jetzt auch Europa stärker nach Afrika orientieren. Aber ich glaube nicht, dass sie bekommen werden, was sie wollen. Dafür ist die Infrastruktur schlicht nicht vorhanden. Es ist eine Sache, Gas oder Erdöl aus dem Boden zu holen. Eine andere Sache ist es, die Brennstoffe nutzbar zu machen und zu transportieren, in diesem Fall nach Europa. Denn das Erdgas muss extrem heruntergekühlt und verflüssigt werden. Die Schiffe, die dafür benötigt werden, brauchen eine sehr spezielle Ausrüstung. Mittelfristig wird man sich wohl darauf verständigen müssen, überhaupt erst mal eine funktionierende Gasinfrastruktur in Nigeria aufzubauen.

 

SPIEGEL: Über welchen Zeitraum sprechen wir da?

Bala: Ich gehe von mindestens drei bis fünf Jahren aus. Die wenige Infrastruktur, die es in Nigeria gab, ist über die Jahre aufgrund von Vandalismus und fehlender Finanzierung oder Wartung verfallen. Jetzt wird Gas als Priorität angesehen, als sauberer fossiler Brennstoff im Vergleich zu Öl, als Energie der Zukunft und als eine Ressource, die das Bruttoinlandsprodukt des Landes erheblich steigern wird. Gas wird zur Gewinnung von Strom genutzt, es wird die Landwirtschaft ankurbeln, unter anderem zur Herstellung von Düngemitteln. Ich denke, das ist im Interesse der nigerianischen Regierung.

 

SPIEGEL: Über welche Dimension von Gasreserven sprechen wir in Nigeria? Würden die reichen, um Europa zu versorgen?

Bala: Wir haben nachweislich fast sechs Billionen Kubikmeter Gas, die man mit der heute vorhandenen Technologie jederzeit fördern könnte. Und das Potenzial ist noch viel höher: Wenn sich die Fördertechnik weiterentwickelt, könnten wir perspektivisch bis zu 17 Billionen Kubikmeter Gas ausbeuten. Das würde also locker reichen, um die russischen Gasimporte auszugleichen.

 

 

SPIEGEL: Aber viele EU-Länder, auch Deutschland, haben afrikanische Staaten in den vergangenen Jahren dazu gedrängt, von fossilen Brennstoffen auf regenerative Energien umzusteigen – oft zum Ärger der afrikanischen Staatschefs. Jetzt bettelt die EU um Gas aus Nigeria. War die EU-Strategie also falsch?

Bala: Nein. Der allgemeine Druck auf Afrika, auf erneuerbare Energien zu setzen, war im Grunde eine globale Bewegung für ein saubereres Ökosystem. Die jetzigen Probleme mit Erdgas hat niemand in diesem Ausmaß erwartet, kaum jemand hat ernsthaft damit gerechnet, dass es so eskaliert. Ich habe also ein gewisses Verständnis für die Lage der Europäer. Es war und ist trotzdem richtig, Afrika zu sauberen Energien zu bewegen, sie sind die Zukunft.

 

 

SPIEGEL: Wie schlimm ist der Zustand der Pipelines?

Bala: Der Vandalismus in den nigerianischen Öl- und Gasgebieten ist enorm hoch, Kriminelle zapfen Ölleitungen an und zerstören Gaspipelines, auch aus Protest. Dadurch werden die Betriebskosten für die Firmen immer höher. Viele Investoren ziehen sich zurück. Nigeria gehen täglich durch Schäden an den Pipelines Unmengen Rohöl verloren.

 

SPIEGEL: Nigeria kann derzeit nicht einmal 20 Prozent seines Energiebedarfs decken, auch weil nicht genug Erdgas in den Kraftwerken ankommt. Wie sollte das Land Gas in die EU exportieren, wenn nicht einmal genug Strom vor Ort produziert werden kann?

Bala: Nein, das geht nicht. Wie heißt es so schön: Nächstenliebe beginnt zu Hause. Man sollte zuerst genug Gas für den eigenen Markt sicherstellen. Wir können doch nicht über Export reden, wenn Leute im Dunkeln leben. Das sieht man übrigens auch beim Öl: Wir exportieren Rohöl und haben nicht eine einzige funktionierende Raffinerie im Land.

 

SPIEGEL: Erst vor ein paar Tagen gab es wieder einen massiven Stromausfall, weite Teile des Landes waren in Dunkelheit. Es ist schon der fünfte totale Blackout in diesem Jahr. Was machen Sie in solchen Situationen?

Bala: Ich mache das, was alle machen, die es sich leisten können: Ich schalte auf einen Generator um, betrieben mit Diesel oder Benzin. Aber was hat das zur Folge? In vielen Fabriken kommt es zu Produktionsausfällen, weil die Maschinen kurz stillstehen. Durch solche plötzlichen Stromausfälle kann die gesamte Charge eines Produkts zerstört werden. Der Schaden beträgt immer mehrere Milliarden nigerianischer Naira (mehrere Millionen Euro, d. Red.) pro Stromausfall. Und es gehen sogar Menschenleben verloren. In Krankenhäusern werden Operationen durchgeführt, und plötzlich fällt der Strom aus. Was passiert dann mit der Sauerstoffversorgung? Das ist sehr gefährlich, gar nicht gut für die Wirtschaft und auch nicht gut für das Image des Landes.

SPIEGEL: Nigeria ist eines der größten Länder Afrikas und hat die stärkste Wirtschaft auf dem Kontinent. Droht das Land durch die Energieprobleme nun abgehängt zu werden?

Bala: Afrika hat früher zu Nigeria aufgeschaut, wir waren führend in den Bereichen Öl und Gas, Gesundheit, Bildung, Technologie, Sport. Aber unsere Führung lässt das Land im Stich. Es wäre eigentlich kein Hexenwerk, ausreichend Erdgas zur Stromerzeugung zu nutzen. Dann sind die Leute auch nicht mehr auf Diesel oder Benzin angewiesen.

SPIEGEL: Gleichzeitig wachsen Megastädte wie Lagos jeden Tag um Tausende Einwohnerinnen und Einwohner, der Energiebedarf steigt also immens. Ist das eine tickende Zeitbombe?

Bala: Nicht unbedingt, wenn man die richtigen Maßnahmen ergreifen würde. Wir brauchen dringend eine Strategie zur Dezentralisierung des Landes, dann würde es Städte wie Lagos so nicht geben. Derzeit existieren nur vier oder fünf Orte, in denen sich praktisch alle wirtschaftlichen Aktivitäten konzentrieren, das sollte so nicht sein. Aber ja: Die Nachfrage nach Energie in Lagos ist sehr hoch, und wenn wir nicht bald etwas dagegen unternehmen, wird es wahrscheinlich zu einer Katastrophe kommen.

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